Ein Bauer, der mit Waffen handelt und dem – mit einem seiner eigenen Maschinengewehre – so in den Kopf geschossen wird, dass sein Gehirn auf die Nazifahne an der Wand spritzt? Das Kinopublikum jubelt.
Ein Baby, das sich zufällig an Bord eines geklauten Autos befindet, rausgeschmissen und von einem Bus überfahren wird? Der Saal pfeift und grölt. Ein Techno-Proll, der seine Jungfräulichkeit beim Doggy-Sex mit einer hochschwangeren Kassiererin verliert, angefeuert von seinen Freunden? Das Publikum applaudiert, und einer im Saal schreit: "Gut gemacht, Homo!"
Willkommen bei "New Kids Turbo", der niederländischen Komödie, die die deutschen Kinos erobert hat und in der vorvergangenen Woche auf Platz eins der Charts stürmte. In seiner Startwoche machten sich mehr als 200.000 Zuschauer lustig über die fünf holländischen Prolls, die für nichts mehr bezahlen wollen und damit in ganz Holland eine Revolution anzetteln.
Die Witze sind so grob und plump, dass einem leicht das Lachen vergehen kann. Aber nicht den Kinobesuchern: Sie sind gekommen, um die totale Geschmacklosigkeit zu feiern, und sie wissen genau, was sie erwarten können, weil "New Kids Turbo" seinen Ruf übers Internet und über den Sender Comedy Central bereits erworben hat, wo die zugehörige TV-Serie "New Kids" bereits im letzten Jahr zu sehen war. Deswegen können viele Zuschauer das komische Deutsch, das im Film gesprochen wird und das genauso bescheuert klingt wie die holländische Sprache im Original, ohne zu zögern mitbrüllen. So hat der Film die deutsche Sprache jetzt schon bereichert mit Phrasen wie "verrückter Mongol" und "Niemand fickt mit Maaskantje" (Maaskantje ist das Dorf, in dem der Film spielt).
Ein Körnchen Wahrheit in all dem Schwachsinn
Nicht nur in Deutschland staunen viele, dass dieser Schwachsinn so erfolgreich sein kann: Auch in den Niederlanden ist "New Kids Turbo" teilweise mit Grauen aufgenommen worden und gilt mittlerweile als beliebtes Beispiel für den Niedergang der Zivilisation und den generellen Werteverlust.
Aber damit wird man der Mehrschichtigkeit dieses Filmes nicht gerecht. Die Witze können nicht verheimlichen, dass in der Grobheit der Protagonisten ein Körnchen Wahrheit steckt. Der Film bietet einen unbequemen Blick in die Welt der Unterschicht und die Art und Weise, wie sie von den Medien vermittelt wird. So entlarvend wie peinlich ist zum Beispiel die Szene, in der Richard seine Sozialhilfe verloren hat, weil er einen Beamten bedroht hatte, und sich mit einem Journalisten, der ihn bezahlt, darauf einigt, in einer lokalen Fernsehsendung eine rührselige Schnulze über seinen kranken Hund aufzutischen, dem er aus Geldmangel nicht mehr sein Spezialfutter kaufen kann.
Obwohl sich die beiden Regisseure Steffen Haars und Flip van der Kuil ihrem Film, in dem sie übrigens selbst mitspielen, jeglicher Sozialkritik verweigern, ist klar, dass ihre Schilderung der Aussichtslosigkeit ätzt. Sich mit harten, teilweise auch politisch äußerst unkorrekten Witzen über gesellschaftliche Zustände zu äußern, ist in den Niederlanden viel mehr akzeptiert als in Deutschland. So war der Film "Shouf Shouf Habibi!", eine multikulturelle Komödie mit bitterbösen Witzen über Marokkaner, in den Niederlanden ein Riesenerfolg, bei Einheimischen wie bei Marokkanischstämmigen. Als der Film 2005 in Deutschland herauskam, war der Erfolg äußerst bescheiden.
Vielleicht war es damals für diesen Film zu früh, vielleicht würde er in Deutschland aber auch heute noch nicht ankommen: Im Vergleich ist zum Beispiel "Almanya – Willkommen in Deutschland", die erfolgreiche deutsche Komödie über türkische Einwanderer, sehr brav geraten. Das frechste Vorurteil, das darin vorkommt, ist der türkische Beamte, der Bestechungsgeld für die Beerdigung des Großvaters in der Türkei verlangt. Das verweigern die türkischstämmigen Deutschen selbstverständlich: So wird das in ihrer neuen Heimat nicht gemacht. Kleinzeug, verglichen mit der diebischen Hauptfigur aus "Shouf Shouf Habibi!", die mit Gewalt einen Seecontainer aufbricht, nur um zu entdecken, dass er leer ist. Das löste vor allem bei marokkanischen Kino-Besuchern Lachkrämpfe aus.
Typisch niederländische Absurdität
Eine zweite Ebene von "New Kids Turbo", die typisch niederländisch ist, ist die Absurdität. Mittendrin bricht der Film zum Beispiel ab, weil das Budget angeblich nicht ausgereicht habe. Im Bild erscheint der Produzent des Films, Reinout Oerlemans von der Firma Eyeworks, und fordert die New Kids auf, zu erklären, wie es weiter gehen würde, wenn wieder Geld da wäre. Sie nehmen Platz in einem billigen Dekor und beschreiben ein paar mögliche Handlungsstränge, streiten sich darüber – und urplötzlich geht der Film wieder weiter.
Das in Deutschland vielleicht bekannteste Beispiel dieses verschrobenen niederländischen Humors ist "De Noordelingen", der von Alex van Warmerdam Anfang der Neunziger gedrehte Film, der mit einem Felix für den besten jungen europäischen Film gewürdigt wurde. Schauplatz ist ein fiktives Neubauviertel, bestehend aus nur einer Straße mit Reihenhäusern und einem ebenso fiktiven Wald. Ein 12-jähriger Junge, Sohn eines sexsüchtigen Metzgers, verkleidet sich als Schwarzer. Und dann, so Van Warmerdam: "Ein Mord, Wunder. Kurz und gut, das Alltagsleben." Alle Elemente dieses Filmes sind für sich genommen unglaubwürdig, zusammen ergeben sie aber eines der genauesten Bilder der Niederlande.
Auch "New Kids Turbo" hat, in seinen besten Szenen, diese grellen Qualitäten. Aber eigentlich kommt die Absurdität in den Low-Budget-Filmen, mit denen die New Kids berühmt geworden sind, besser zur Geltung. In jeweils knapp drei Minuten wird eine Narretei ganz präzise aufgetischt. Auch diese Mini-Filme sind von den Akteuren selbst synchronisiert worden, man kann sie sich – sehr holländisch umsonst – bei YouTube ansehen.